top of page

BürgerInnenbeteiligung in Zeiten von Corona: Die Krise als Motor für den Wandel

Selten hat sich unser Alltags so schlagartig und tiefgreifend verändert wie in den letzten Monaten. Innerhalb nur weniger Wochen wurden auf der ganzen Welt einschneidende Maßnahmen umgesetzt, die noch Anfang des Jahres undenkbar schienen

Für echte Zusammenarbeit zwischen Regierungen/ Verwaltungen und den BürgerInnen war in den Wochen direkt nach dem globalen Ausbruch von Covid-19, kein Platz. Angesichts der gefährdeten Menschenleben und dem Risiko des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, waren die Regierungen und Verwaltungen gezwungen, schnell zu handeln. Gleichzeitig waren die BürgerInnen vor allem damit beschäftigt, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, inklusive Home-Office oder sogar Arbeitslosigkeit, Home-Schooling, geschlossenen KiTas und der Unsicherheit darüber, wie es weitergeht.

Jetzt, da die Einschränkungen in ganz Europa langsam gelockert werden, ändert sich das. Die große Angst vor dem Virus weicht einer Normalität im Umgang mit der Gefahr. Die Hochphase der Einschränkungen scheint zu Ende.

Aber neben der Wertschätzung von dem, was noch vor einigen Monaten selbstverständlich war, wird jetzt auch deutlich dass die großen Herausforderungen noch vor uns liegen.

Aber es hat sich etwas geändert und das ist mit den Händen greifbar. unter den BürgerInnen wächst der Wunsch, die Herausforderungen anders anzugehen als sonst. Dieses Mal soll es gemeinsam und nachhaltig gehen.


Die Maßnahmen in der post-lockdown Phase werden nur dann greifen und von der Bevölkerung akzeptiert werden, wenn die Perspektive der BürgerInnen ernsthaft berücksichtigt wird.

Wir alle wissen, dass die graduelle Lockerung der Corona-Einschränkungen nicht die sofortige Rückkehr zur Normalität bedeutet. Solange noch kein Impfstoff entwickelt wurde, wird jedes Land, jede Region und jede Gemeinde einen Weg finden müssen, Menschenleben zu schützen und gleichzeitig die Menschen so wenig wie möglich in ihrem Leben einzuschränken. Dieser Balanceakt kann nur gelingen, wenn die BürgerInnen bei den Entscheidungen mitreden dürfen. Die Maßnahmen der nächsten Wochen und Monate werden nur dann greifen und von der Bevölkerung akzeptiert werden, wenn die Perspektive der BürgerInnen ernsthaft berücksichtigt wird.

Gleichzeitig haben die letzten Monate auch einen gesellschaftlichen Ruck erzeugt. Viele BürgerInnen verlassen den Lockdown mit neuen Perspektiven und dem Willen, nicht einfach zum “normal“ zurückzukehren. Die Erschütterung unseres Alltags hat uns verändert. Sie hat unseren Blick geschärft, unsere Prioritäten zurechtgerückt, unsere Gemeinschaftssinn gestärkt und uns gezeigt, wie anpassungsfähig und wandelbar unsere Gesellschaft sein kann.

Zusätzlich hat die Krise die Schwächen unseres Systems offen gelegt auch indem wir die Reaktionen der anderen Länder und Systeme sehen und vergleichen konnten.

Auf der ganzen Welt werden jetzt Stimmen laut, die diese Entwicklungen als Antrieb für eine systemische Veränderung nutzen wollen.


Die BürgerInnen wollen aktiv in die Entscheidungen und Diskussionen zur Post-Corona-Welt und der Zukunft ihrer Lebenswelt einbezogen werden.

Die BürgerInnen wollen aktiv in die Entscheidungen und Diskussionen zur Post-Corona-Welt und der Zukunft ihrer Lebenswelt einbezogen werden. Und das zu Recht.

Nicht nur, weil ein offener Austausch uns dabei hilft, diese gemeinsame Erfahrung einzuordnen und die Wirksamkeit weiterer Maßnahmen auch von der Unterstützung innerhalb der Bürgerschaft abhängt. Die letzten Monate haben den Wunsch nach Zusammenhalt und Zusammenarbeit unter den Bürgern gestärkt.





Dieses Bedürfnis sollte aufgenommen und genutzt werden - für einen echten Wandel in der Gesellschaft. Digitale Plattformen für die BürgerInnenbeteiligung können hier ein erster und zentraler Baustein sein.

Den Corona-Herausforderungen gemeinsam begegnen.


Wenn es eine Sache gibt, die uns die letzten Monate gezeigt haben, dann wie wichtig andere Menschen für uns sind. Beinahe alle Maßnahmen von Abstandsregeln bis zur Maskenpflicht zielten auf den Schutz von anderen und weniger auf den Schutz von einem selbst. Solidarität, Verantwortungsgefühl und Verständnis für den Anderen waren die Treiber.

Dieser Geist sollte nicht einfach verschwinden, nur weil wir den absoluten Krisen-Modus jetzt verlassen. Stattdessen sollten wir darauf bauen und in diesem Sinne weitermachen.


Denn bis ein Impfstoff gefunden ist, werden wir weiterhin Maßnahmen gegen den Virus ergreifen müssen. Und die Entwicklung und Umsetzung solcher Maßnahmen erfordert eine gutes Verständnis der Situation und Bedürfnisse der Menschen vor Ort sowie deren Bereitschaft bestimmte Einschränkungen hinzunehmen.


Sicherlich gibt es auch einige Maßnahmen, die flächenübergreifend auf ganz Deutschland anwendbar sind. Aber der Großteil wird sich regional stark unterscheiden, je nach den örtlichen Gegebenheiten.


Um hier das richtige Maß zu finden, muss man die BürgerInnen in die Entwicklung mit einbeziehen Sie benötigen eine Plattform, auf der sie Ihre Erfahrungen teilen und über wichtige Themen wie Bildung, Altenpflege, Mobilität etc. diskutieren können. Die Verwaltung bekommt nur so einen Überblick, wie die Lage vor Ort tatsächlich ist und kann gegebenenfalls die Maßnahmen entsprechend anpassen.


Eine Organisation, die vorgemacht hat, wie es gehen kann ist die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe, der größte Dachverband in diesem Gebiet.


Die Corona-Krise traf die Wohnungslosenhilfe besonders hart. Wie funktioniert Kontaktsperre wenn man Menschen helfen soll? Wie können Wohnungslose bei einer Ansteckung in Quarantäne?


Die BAG Wohnungshilfe wollte verstehen, wie die Krise die Organisationen und Einrichtungen vor Ort beeinflusst, wie sie darauf reagieren und welche Art von Unterstützung sie benötigen.


Deswegen eröffneten sie diverse Konsultationen auf der Civocracy-Plattform, zu denen alle Einrichtungen - egal ob Verbandsmitglied oder nicht - eingeladen wurden. So sammelte die BAG W wichtige Erkenntnisse über die Situation vor Ort, die die Basis für entscheidende Anpassungen in der eigenen Arbeit bilden.


Einbindung der BürgerInnen führt zu einer breiteren Akzeptanz von Corona-Maßnahmen

Die BürgerInnen in die Maßnahmen-Erarbeitung einzubinden, führt fast immer zu mehr Akzeptanz von eventuellen Einschränkungen. Wenn Freiheiten schon beschnitten werden müssen, wollen die BürgerInnen zumindest in den Prozess eingebunden werden.


Jeder von uns hat mittlerweile seine oder ihre eigene Erfahrung mit der Effektivität bestimmter Maßnahmen sammeln können aber auch, wie sie unser Leben beeinflussen. Entsprechend wertvoll kann der Input von BürgerInnen sein. Abgesehen davon haben die BürgerInnen ein Recht darauf, dass ihre Perspektive berücksichtigt wird, da die Maßnahmen ihren Alltag verändern.


Ganz einfach ist das nicht. Die Erfahrungen und Meinungen zu Corona und den Maßnahmen unterscheiden sich sehr stark. Umso wichtiger ist ein Austausch zwischen Regierungen und BürgerInnen aber auch unter BürgerInnen untereinander. Was für den einen/ die eine genug Schutz bietet und gleichzeitig keine merkliche Einschränkung darstellt, kann für jemand anderen sinnlos und behindernd wahrgenommen werden. Der Schlüssel für eine übergreifende Akzeptanz der Maßnahmen ist gegenseitiges Verständnis. Wenn wir diese erreichen, ist es viel wahrscheinlicher, dass wir auch Maßnahmen akzeptieren, die wir ggf. für überzogen oder sogar unnütz halten.


Außerdem fällt dem Engagement von BürgerInnen im derzeitigen Kontext noch eine zusätzliche besonders wichtige Rolle zu. Die Corona-Maßnahmen berühren fundamentale BürgerInnenrechte. Die BürgerInnen müssen informiert, engagiert und aktiv bleiben, um dafür zu sorgen, dass diese BürgerInnenrechte langfristig Bestand haben. Denn die Stabilität unseres demokratischen Systems hängt auch vom Maß der Freiheit des Einzelnen ab. Im Rahmen unseres Engagements im Verband ACTE haben wir von Civocracy gemeinsam mit den anderen Mitgliedern einen Leitfaden für BürgerInnen Engagement in der Krise erstellt, der Beispiele bereithält, wie BürgerInnen in diesen herausfordernden Zeiten ihr Engagement fortführen können.(https://www.acte-europe.org/editorial-citizen-empowerment).



Die Regierungen auf der anderen Seite, haben die Aufgabe, BürgerInnen sichere und zugängliche Möglichkeiten zur Information, Debatte und der gegenseitigen Unterstützung zur Verfügung zu stellen.


Die Gesellschaft muss sich auf langfristige Veränderungen einstellen, wenn das Virus besiegt werden soll. Deswegen ist gegenseitiges Verständnis, konstruktiver Dialog und Zusammenarbeit auf Augenhöhe gerade besonders wichtig. Nur wenn die BürgerInnen die Werkzeuge zur konstruktiven Kommunikation und Kollaboration zur Verfügung stehen, werden wir diese Herausforderung meistern.

Die gemeinsame Corona-Erfahrung hat die Gesellschaft verändert.


Der Wunsch gesund (körperlich und geistig) durch diese Zeit zu kommen war und ist sicherlich der zentrale Gedanke in den Köpfen der Menschen. Aber die Krise hat noch viel tiefergehende Veränderungen mit sich gebracht. Diese plötzliche Gefahr für das eigene Leben oder zumindest das Leben naher Angehöriger gepaart mit den heftigsten Einschränkungen in unsere bürgerlichen Freiheiten, die die meisten von uns jemals erlebt haben hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Für viele ging das mit einem massiven Perspektivwechsel einher.


Für viele brachte die Corona-Krise auch eine neue Perspektive auf das Leben in der Gemeinschaft. Diese Veränderung besitzt enormes gesellschaftliches Potential.

Die Anpassung an den Lockdown veränderte unweigerlich unsere Wahrnehmung auf unser Leben. Durch die drastische Einschränkungen unserer Freizeitmöglichkeiten und unseres Bewegungsradius quasi über Nacht, haben wir eine ganz neues Bewusstsein auf unsere direkte Umgebung entwickelt. Mit anderem Blick schauen viele jetzt zum Beispiel auf die älteren Mitglieder unser Gesellschaft, auf die KassiererInnen in unseren Supermärkten oder auf die vielen Geschäfte, die monatelang die Türen schließen mussten. Dieser geschärfte Blick führt häufig zu einem stärkeren Verbundenheitsgefühl mit ihren Nachbarschaften bzw. Gemeinden und Regionen.


Gleichzeitig hat uns die Anpassungsfähigkeit an eine komplett neue Situation gezeigt, dass Wandel, auch schneller Wandel, möglich ist. Wir haben gesehen, wie viel wir erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten und Rücksicht aufeinander nehmen - ein Ausbruch aus unseren Gewohnheiten ist möglich.


Und viele BürgerInnen sind nicht bereit, die im Verlauf der Krise aufgedeckten Fehler im System jetzt wieder zu übersehen, sondern wollen sie aktiv angehen.

Egal ob es um unzureichende Kommunikationskanäle geht, mangelnde Kooperation im Bildungsbereich oder den überhitzten Wohnungsmarkt - die Motivation, diese Herausforderungen zu meistern ist spürbar.


Dieser Perspektivwechsel besitzt ungeahntes gesellschaftliches Potential. Überall entstehen gerade Ideen und Pläne um nicht einfach zum Alten zurückzukehren sondern um an einer lebenswerteren Zukunft zu arbeiten. Und es ist die Verantwortungen der Regierungen - von Stadtteil- bis Bundesregierung - diese Energie in echten Wandel zu überführen.


Jetzt ist die Zeit für bürgerschaftliches Engagement



Die meisten BürgerInnenbeteiligungsprojekte beginnen damit, dass die Regierung oder Verwaltung relevante Themen und vielversprechende Strategien identifiziert und damit versucht, die Bürgerinnen zum Engagement zu gewinnen. Im post-lockdown Kontext haben sich die Rahmenbedingungen aber verschoben.


Momentan suchen die BürgerInnen händeringend nach Möglichkeiten gehört zu werden, in den Austausch zu gehen und neue Projekte gemeinsam anzugehen. Regierungen und Verwaltungen können dieses Momentum nutzen in dem sie die BürgerInnen die richtigen Werkzeuge zur Verfügung stellen und gemeinsam mit Ihnen an Projekten arbeiten.


Zusätzlich hilft es den BürgerInnen, mit der derzeitigen Situation umzugehen, wenn sie sich auf eine mögliche, bessere post-Corona-Zukunft konzentrieren. Diverse Studien haben ergeben, dass die Fokussierung auf das Leben nach einer Krise dabei hilft, eben diese Krise zu meistern.


Darauf aufbauend und unserem Auftrag folgend, BürgerInnen eine Stimme zu geben, haben wir bei Civocracy gemeinsam mit einigen Partnerorganisationen (u.a. Engage, On the Green Road and Quorum) in Frankreich ein bottom-up Post-Krisen-Projekt umgesetzt.(https://www.civocracy.org/construisons-demain).


Alle französischen BürgerInnen hatten auf einer eigens eingerichteten Seite die Möglichkeit ihre Ideen und Visionen einer besseren Post-Corona Welt zu teilen und zu diskutieren. Über 1000 Ideen kamen in wenigen Wochen zusammen. Die beliebtesten Vorschläge wurden zu Konsultation umgewandelt, um die jeweilige Idee zu schärfen und zu diskutieren, wie aus der Idee ein reales Projekt werden könnte.


Unter diesen beliebtesten Ideen waren unter anderem die Vorschläge einer Steuer auf umweltschädliche Mobilität, Unterstützung lokaler Lebensmittelproduktion und eine Stärkung des ÖPNV. Im letzten Schritt werden jetzt die erfolgversprechendsten Ideen der französischen Regierung präsentiert und übergeben.


Der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, in Entscheidungen einbezogen zu werden ist offensichtlich. In den letzten Wochen hat sich dies oft sogar in eine aktive Forderung nach mehr Einbindung entwickelt. Um wirksam auf Covid-19 zu reagieren, muss diese Forderung ernst genommen werden. Aber auch über unsere unmittelbare Zukunft hinaus muss eine Stärkung der Zusammenarbeit innerhalb der Gesellschaft gefördert werden. In dem Maße, in dem wir die strikten Corona-Maßnahmen hinter uns lassen, werden die Herausforderungen, die auf uns warten, dringlicher denn je.

Gleichzeitig ist das Potenzial eines gemeinschaftlichen Handelns so klar wie nie zuvor. Raum für Diskussion und Zusammenarbeit zu ermöglichen, bedeutet nicht nur, Corona auf die einzig wirksame Art und Weise zu meistern, - nämlich gemeinsam. Es bedeutet auch, die Covid-19-Krise zu einem Startpunkt für eine stärkere Gesellschaft zu verwandeln. Die Umdeutung der Krise zur Chance für bürgerschaftliches Engagement wird zu positiven Veränderungen in der Gesellschaft führen.

bottom of page